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Landesmuseum für Vorgeschichte Halle Grabanlage einer besonderen Frau (»Schamanin«) und eines Kleinkindes

Grabanlage einer besonderen Frau (»Schamanin«) und eines Kleinkindes

About the collection

Fund: Bestattung einer 30-40-jährigen Frau in sitzender Hockerstellung mit einem 6-12 Monate alten Kind. Das Grab hatte aufwendige Einbauten und lag isoliert im Gelände auf einem weithin sichtbaren Hochplateau über der Saale. Es enthielt eine ungewöhnlich reiche und vielfältige Ausstattung. Skelettreste und Beigaben waren in einer noch 30 cm mächtigen Rötelstreuung eingebettet.

Fundumstände: Entdeckt wurde das Grab 1934 beim Ausheben eines Leitungsgrabens im Kurpark. In einer Notbergung wurde nur der Großteil des Inventars gesichert. Erst die Nachgrabungen in den Jahren 2019-2022 erfassten die Grabgrube und ihr unmittelbares Umfeld mit zahlreichen Neufunden vollständig.

Datierung: Mittelsteinzeit, Grablegung ca. 9.000-8.900 Jahre vor heute, Deponierung von Hirschgeweihmasken ca. 8.400-8.200 Jahre vor heute

Bedeutung: Das Grab gehört zu den bislang ältesten Gräbern in Sachsen-Anhalt. Zu jener Zeit erhielten die Toten normalerweise gar keine oder nur wenige Grabbeigaben, wie z. B. einzelne Tierzahnanhänger oder Feuersteinklingen. Die überreiche Ausstattung und der aufwendige Grabbau zeugen daher von der gesellschaftlichen Sonderrolle der Bestatteten, die sich auch weit über ihren Tod hinaus mit der späteren Deponierung von Hirschgeweihmasken am Grab belegen lässt. Eine körperliche Besonderheit dürfte zu diesem Sonderstatus beigetragen haben, denn sie hatte ein rhythmisches Augenzittern (Nystagmus), hervorgerufen durch die Fehlbildung ihrer Halswirbel.
Die Tierreste im Grab repräsentieren eine bemerkenswerte Artenvielfalt, die sicherlich nicht nur als Speise gedacht waren. Ethnografische Vergleiche legen nahe, dass manche davon als schamanistische Requisiten zu deuten sind, z. B. Rehgeweih, Tierzahngehänge und Schildkrötenpanzer.

Genetische Hinweise: Die Genetik ist heute in der Lage, genaue Aussagen zum Aussehen vorgeschichtlicher Menschen zu treffen. Für die »Schamanin« ergeben sich Änderungen im Vergleich zu früheren Rekonstruktionen. Sie hatte eine relativ dunkle Hautfarbe und glatte, tiefdunkle Haare. Ihre Augen waren hingegen hell (grau, blau oder grün). Dieses Erscheinungsbild ist für westeuropäische Wildbeutergruppen typisch. Weitere mesolithische Personen dieses Phänotyps sind z. B. aus dem heutigen Luxemburg, Spanien und England bekannt. Erst mit dem Wechsel zu überwiegend pflanzlicher Nahrung im Neolithikum (ca. 5.500 – 2.200 v. Chr.) wurde helle Haut zu einem Vorteil. Sie unterstützt die Produktion von Vitamin D während langer Phasen der Dunkelheit im Winter in der nördlichen Hemisphäre.

Das Kind aus dem Grab der »Schamanin«: Die exakte Lage des unvollständig erhaltenen Skeletts eines 6 bis maximal 12 Monate alten Säuglings bleibt anhand der alten Grabungsdokumentation ungeklärt. Die Nachgrabungen deuten darauf hin, dass die Skelettteile in Kopfnähe der Frau aufgefunden wurden.
Genetische Analysen weisen den Säugling als Jungen aus. Darüber hinaus war der kleine Junge nicht das leibliche Kind der »Schamanin«. Er war lediglich im 4. oder 5. Grad mit ihr verwandt und damit ein Urur(ur)enkel oder ein entfernter Neffe oder Cousin. Was den Jungen mit der »Schamanin« darüber hinaus verband, lässt sich auch durch die Nachgrabung nicht genauer beurteilen. Unklar bleibt außerdem der Zeitpunkt seines Todes im Verhältnis zu dem der »Schamanin«.



© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt - Landesmuseum für Vorgeschichte; Grafik (Rekonstruktion Schamanin mit Kopfschmuck): Karol Schauer

This collection is part of

Mittelsteinzeit/Mesolithikum (ca. 9.000-5.450 v. Chr.) [9]

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