Original: Deutsch
Die Rheinpfalz - Nr. 295 Palatina Samstag, 20. Dezember 1997
Altehrwürdiger Verein mit vielfältigem Leben
Die Museumsgesellschaft Bad Dürkheim wird 125 Jahre alt: Ein Rundgang auf den Spuren der Gründer und ein Blick auf die Arbeit von heute
Von Katharina Schlegel
Begleiten Sie mich doch einfach
auf einen Rundgang, schlägt
Heinz Reichardt vor. Der Vor-
sitzende der Museumsgesellschaft Bad
Dürkheim, die in diesem Jahr ihr
125jähriges Jubiläum feiert, möchte
sich nicht auf die Wirkung trockener
Worte verlassen, wenn es darum geht,
die Vielfalt und Lebendigkeit seines
Vereins darzustellen.
Die erste Station soll an Danke-
schönessen für die Geschichtswerk-
statt sein. Da treffen sich zehn ge-
schichtsbegeisterte Laien, zwischen 16
und 75 Jahren alt, die in Zusammenar-
beit mit Museumsleiter Wolfgang
Knapp seit 1990 jährlich bis zu fünf
Sonderausstellungen im Heimatmu-
seum organisieren. Seither sind die Be-
sucherzahlen für das sogenannte Haus
Catoir sprunghaft angestiegen. Fast
3000 Bürger und Gäste der Stadt sahen
allein die Dokumentation der Zerstö-
rungen 1945. Gemeinsam mit enga-
gierten Schülern sind die Werkstattler
1996 Spuren jüdischer Kultur in der
Umgebung nachgegangen. Präsenta-
tionen von Emaille und Reiseandenken
rückten volkskundliche Themen in
den Mittelpunkt. Und immer wieder
ergaben nch neue Zugänge zur Stadt-
geschichte. Aus Anlaß der diesjährigen
Aufarbeitung der Solbadgeschichte
zog das Heimatmuseum mit einem
Teil seiner umfangreichen Ausstellung
sogar mitten ins Foyer des Kurzen-
trums.
Mit der jüngsten, gerade eröffneten
Präsentation unter dem Titel "Sam-
meln - Sichern - Ausstellen" sind die zehn
aus der Geschichtswerkstatt im Jubilä-
umsjahr nun der eigenen Vereinsge-
schichte nachgegangen. Die reicht zu-
rück bis zum Beginn des 19. Jahrhun-
derts. Im Dezember des Jahres 1808
gründeten Dürkhetmer Bürger eine Le-
segesellschaft. "Bücher waren damals
sehr teuer", erklärt Heinz Reichardt.
"Das aufkommende Bürgertum mit sei-
nem Wissensdurst hat sich deshalb zu-
sammengeschlosssen, gemeinsam ge-
kauft und dann ausgetauscht."
Zu finden ist die dabei entstandene
und inzwischen nach dem Dürkheimer
Stifterehepaar Schlarb benannte Biblio-
thek heute tm Haus der Jugend. Dessen
Lebendigkeit tönt bis hinauf unters
Dach, wo Liselotte Setzer und Gertrud
Braun die ihnen anvertrauien Bücher-
schätze sehr gewissenhaft hegen und
pflegen. Benutze kommen eher selten,
denn im Grunde ist die akribisch geord-
nete Sammlung der mehr als 4000 Titel
selbst an Exponat fürs Museum. Was
haben die Leute damals gelesen? Wel-
che Themen waren Schwerpunkte des
Interesses?. "Bis etwa zum Jahr 1900
wurde systematisch zugekauft", meint
Reichardt. Die vielen Reisebücher
zum Beispiel verraten ein starkes Bedürfnis,
über den eigenen Tellerrand hinauszu-
schauen.
Auch das Archiv des Heimatmuse-
ums ist dort oben untergebracht, fein
säuberlich inventarisiert und in bunten
Mappen geordnet von Ernst Schlack, ei-
ehemaligen Prokuristen der BASF.
Aber streng nach Chronologie betrach-
tet ist der Altertumsverein, der 1872
mitsamt dem Heimatmuseum gegrün-
det wurde und damit als älteste örtliche
Einrichtung dieser Art in der Pfalz gilt,
noch gar nicht an der Reihe.
Ins Leben gerufen wurde zunächst
nämlich 1840 die Pollichia, ein natur-
wissenschaftlicher Verein. Initiator
war der Deidesheimer Arzt und Bota-
niker Carl Heinrich Schultz. Die Mit-
glieder widmeten sich allerdings nicht
nur der Naturkunde, sondern auch der
Vor- und Frühgeschichte und legten
entsprechende Sammlungen an. Un-
tergebracht wurde alles im ersten
Stock des damaligen Stadthauses, dem
heutigen Kurhaus. Einen Eindruck des
reizvollen "Sammelsuriums", das dort
zusammenfand, vermittelt die aktuelle
Sonderausstellung: Tonscherben und
historisches Weinbaugerät ruhen ne-
ben präparierten Vögeln und anatomi-
schen Menschenpräparaten, in denen
Museumsleiter Knapp Vorstufen der
Mannheimer "Körperwelten" erkennt.
Je großzügiger die Dürkhamer Bür-
ger Exponate spendeten, desto enger
wurde es, und um so deutlicher wuchs
der Wunsch nach einer eigenständigen
kulturgeschichtlichen Sammlung. Als
dann in der Umgebung ganz merk-
würdige Steine gefunden wurden, die
in ihrer Form an die charakteristische
Kopfbedeckung Napoleons (daher da Name
"Napoleonshüte") erinnerten
und sich als eisenzeitliche Getreide-
mahsteine entpuppten, gab es für die
Freunde um Apotheker Hugo Bischoff
und Weingutbesitzer Carl Catoir kein
Halten mehr. "Die Gründerjahre da-
mals waren ja eine Zeit allgemeiner
Modernisierung", merkt Reichardt an.
"Und gerade da gründen junge, am
Überlieferten interessierte und fort-
schrittlich gesinnte Dürkheimer einen
Altertumsverein." Sie seien alle keine
Historiker oder Archäologen gewesen,
sondern gebildete Bürger, die sich für
die Kultur und Geschichte ihrer enge-
ren Heimat begeisterten. Reichardts
Finger gleitet über die Liste mit den
Namen derer, die heute im Verein Ver-
antwortung tragen. "Eigentlich ist das
bis heute so geblieben. Beruflich kom-
men die Leute überall her, nur nicht
vom Fach."
Eine Ausnahme bildet als professio-
neller Denkmalschützer Helmut Bern-
hard, der dem Verein als stellvertre-
tender Vorsitzender zur Verfügung
steht. In enger Abstimmung mit sei-
nem Speyerer Amt für Denkmalpflege
wurden im Rahmen einer Flurbereini-
gung auf dem Ungsteiner Weilberg
1981/82 die Grundrisse eines römi-
schen Weingutes freigelegt. Genau
dort, wo vor 100 Jahren der im Alter-
tumsverein aktive Heimatforscher
Christian Mehlis erste römische Mau-
erzüge entdeckte!
Treibende Kraft hinter den privaten
Initiativen, die in dem Dürkheimer
Stadtteil lebendig wurden, als das
staatliche Geld nicht mehr reichte, ist
jedoch Fritz Schumann, Leiter der
Staatlichen Lehr- und Forschungsan-
stalt für Landwirtschaft, Weinbau und
Gartenbau in Neustadt. Inzwischen
sind Herren- wie Kelterhaus auf der
Anhöhe weithin sichtbar und Mittel-
punkt einer blühenden römischen Kul-
tur, die alljährlich sogar einen original
fußgetretenen Wein produziert.
Selbst Dieter Raudszus, der Vorsit-
zende der Ortsgruppe der Pollichia,
mit der sich der Altertumsverein bei
der Neugründung 1949 zur Museums-
gesellschaft wieder zusammenge-
schlossen hat, entwickelte sein Exper-
tentum in Sachen Natur- und Umwelt-
schutz gewissermaßen als Hobby. Die
ursprüngliche naturkundliche Samm-
lung in inzwischen in die Obhut des ei-
genständigen Pfalzmuseums für Na-
turkunde übergeben worden. Die Pol-
lichianer konzentrieren sich ganz auf
die ökologisch vorbildliche Pflege und
Bewirtschaftung der vereinseigenen
Grundstücke, die wissenschaftliche Er-
fassung der dort lebenden Pflanzen
und Tiere sowie eine langfristig ange-
legte Öffentlichkeitsarbeit und Um-
welterziehung. Von ihrer Begeisterung
lassen sich immer wieder auch Men-
schen außerhalb des Vereins an-
stecken: die Schüler der Valentin-
Ostertag Schule zum Beispiel, deren
Schulleiter Raudzsus ist. Exkursions-
teilnehmer oder die Weinbauer der
Dürkheimer Lebenshilfe. Zahlreiche
Auszeichnungen, zuletzt die interna-
tional bedeutende "Henry Ford Eur-
opean Conservation Award", belegen,
wie lebendig auch dieser Zweig der alt-
ehrwürdigen Museumsgesellschaft ar-
beitet und zu höchst aktuellen Diskus-
sionen beiträgt.
Zwei Figuren (um 1800) aus der Wein-
bauabteilung des Heimatmuseums
Sophie und Carl Catoir im Jahr 1899: Der Dürkheimcr Weingutbesitzer Catoir
gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Altertumsvereins.
Der Innenhof des Hauses Catoir, gezeichnet von Helmut Augeneder. Hier
hat das Heimatmuseum seine Heimat gefunden.
"Türckheim" auf einem Medaillon
Um 145O. —FOTOS ARCHIV MUSEUM