Daniel Chodowiecki versah das Bild mit einer bis dahin kaum gekannten Sprachfähigkeit. Mimik, Gestik, szenische Handlung in jeweils reicher Detailliertheit dienten ihm zum Ausdruck, und nicht nur das altbewährte Symbol. Die Schrift war ein fester und natürlicher Bestandteil seines Bildkonzeptes, ob als ‚Quelltext‘ wie im Falle einer Literaturillustration oder als Inschrift bzw. Beschriftung. Chodowiecki traute sich nicht nur zu, Konkretes darzustellen, sondern auch Abstraktes, nicht nur Handlung, sondern auch Eigenschaft. Und dies im Miniaturformat, war doch sein wichtigstes Metier die Ausstattung der nicht zuletzt durch eben seine Illustrationen in Mode gekommenen Taschenkalender. Typischerweise bestehen seine Arbeiten in Serien von zwölf Darstellungen, entsprechend der Zahl der Monate.
Die „12 Blätter gute menschliche Eigenschaften“ zeigen seine Kunst in Reinkultur. In zwölf Bildern antikisch gekleideter Frauen werden Tugenden verbildlicht, wobei die Körpersprache durchaus durch Handlungselemente oder geläufige Symbole in ihrer Ausdrucksfähigkeit unterstützt wird: das Füttern von Vogelkücken für die Güte, die Gabe eines Almosens für die Wohltätigkeit, die Trense für die Mäßigkeit, das Wasser eines Brunnens für die Unschuld. Die Barfüßigkeit der weiblichen Gestalten lässt wohl die Utopie eines tugendhaften Urzustandes anklingen.
Diese Eigenschaften wurden in diesem Fall in noch kleinerem Format in Szene gesetzt als meist. Sie entstanden für den „Kleinen Taschen Calender auf das gemeine Jahr 1790“. Dieser unterbot das für die Almanache übliche, ohnehin schon kleine Duodez-Format (12°) noch einmal um die Hälfte. Ein Papierbogen achtmal gefaltet, ergibt sein Vigesimoquart-Format (24°). Für einen früheren Jahrgang des Kalenders hatte Chodowiecki bereits eine Serie menschlicher Eigenschaften geschaffen, in diesem Falle gute und schlechte, männliche und weibliche Eigenschaften einander gegenübergestellt. Von den betreffenden Kalendern sind kaum noch Exemplare nachweisbar. Chodowieckis Illustrationen dagegen finden sich in Grafiksammlungen nicht eben selten.
Exemplarisch für Chodowieckis Kunst ist die Serie auch als Vorführung eines Tugendkanons im Zeichen der Humanität: Tugend, Vertrauen, Mässigkeit, Liebe, Güte, Eintracht, Wohltätigkeit, Treue, Unschuld, Freundschaft, Beständigkeit. Chodowiecki wollte mit seiner Bildkunst an der Etablierung der auf diese Werte bauenden bürgerlichen Gesellschaft mitwirken.
Das erste Blatt im Druck bez.: D. Chodowiecki f.