Als Begleiter des preußischen Gesandten Theodor von Rochows am deutschen Bundestag in Frankfurt am Main schreibt der 36jährige Otto von Bismarck an einen unbekannten Freund, der wohl im preußischen Kriegsministerium tätig ist. Zu Anfang beschwert sich Bismarck über die kärgliche Besoldung der preußischen Garnison in Frankfurt:
"Es ist meiner Fassungsgabe nach unmöglich, für unsere Offiziere hier, daß sie mit dem, was sie haben; auskommen können; ich brauche für alle Lebensbedürfnisse, Tisch, Wäsche, Wohnung etc. bis in die kleinsten Details, mindestens 50 % mehr als in Berlin, so sehr ich mich auch einschränke, u. das Offiziers-Corps eines Linieninfanterie-Regiments besteht nicht nur aus Capitalisten. Ich schicke Ihnen beifolgend Auszüge von dem, was die Offiziere der Bayern und Oesterreicher hier an Lokalzulage erhalten, u. dabei sind deren Lieutenants, mit Ausnahme derer, die eigenes Vermögen haben, doch dem Unteroffiziersstande sehr viel näher; unser Feldwebel ist ein Mann von Eleganz u. Bildung neben vielen seiner süddeutschen Lieutenants, u. unsre Offiziere müssen hungern u. darben vor den Augen seiner. Der Oesterreichische Commandant Schmerling kam selbst gestern zu mir, u sagte mir, es sei seiner Ueberzeugung nach unmöglich, daß unsere Offiziere ohne Schulden zu machen hier substistiren könnten, u. er empfähle dringend, daß wir Schritte tun möchten, dem vorzubeugen. Der Oberst Kessell hat schon bald nach unsrer Herkunft Rochow ein Promemoria über diesen und andre Uebelstände eingereicht; ich weiß nicht, an wen Rochow es abgegeben hat, aber ich bitte Sie dringend, nehmen Sie Sich unsrer Cameraden bei Stockhausen, bei Gerlach, bei Ihrem Vetter an; die Leute essen Commisbrot Morgens u. Abends, lassen sich nirgends sehen, wenn sie nicht Schulden machen und tragen den Hunger mit der Würde eines Hidalgo. [...]
Hier ist ein Griff im Beutel nötig, das muß ich 'pflichtmäßig' behaupten [...]"
Kurz danach spricht Bismarck über die Zusammenarbeit mit seinem Vorgesetzten, dem offiziellen Gesandten v. Rochow:
"[...] Heut u. in diesem Augenblick ist Bundestagssitzung, sie dauert lange, vielleicht halten sie Reden über die Geschäftsübertragung von der Central-Commission. Wenn die Geschäfte sich nicht noch anders gestalten, so bin ich hier übrigens einigermaßen das fünfte Rad. Was nicht fertig aus Berlin kommt, das weiß Thun so einzurichten, daß er es rasch und gelegentlich mit Rochow, u. ohne daß der Zeit hat, mit Gruner oder mir zu communiciren, abmacht, u. meine Thätigkeit beschränkt sich vorzugsweise auf Nachdenken über abgemachte Sachen, die bis jetzt allerdings nur diejenige Wichtigkeit zu haben scheinen, welche unbeschäftigte Streitsucht u. Regensburger Haarspalterei ihnen beilegt [...]
Von hier kann ich Ihnen nichts melden, was Sie nicht 24 Stunden vor mir gewußt hätten, denn was man hier überhaupt erfährt, das kommt von Berlin. Meinen ersten kleinen Brief, vor etwa 14 Tagen, haben Sie doch erhalten? Unsre Briefe gehn alle per Paket an das Hofpostamt; ich bin noch immer nicht dahinter gekommen, ob ich dabei Post-Unterschleif betreibe oder nicht [...]
Die Offiziere vertragen sich hier gut, nur vor einigen Tagen wurde ein Oesterreichischer Dragoneroffiz. gegen 3 von unsern grob, aus Cavallerie-Hochmuth, wie es scheint. Die 3 forderten ihn u. er hat sich dann entschuldigt u. so ist die Sache beigelegt [...]
Wenig später, am 15. Juli 1851, wurde von Rochow nach St. Petersburg versetzt, und Bismarck übernahm dessen Amt in Frankfurt. Von diesem Zeitpunkt ab tat Bismarck alles, um den österreichischen Einfluß auf dem Bundestag zurückzudrängen.
Der Brief ist bislang nicht gedruckt und in der Forschung unbekannt.
In den Sammlungen der Schloß Wernigerode GmbH befinden sich weitere Autographen Bismarcks sowie Objekte aus seinem Besitz.