Schwarz-Weiß-Fotografie, die die Malerin Rosa Bonheur zeigt. Sie ist vom Kopf bis etwa zum Bauch zu sehen und sitzt (vermutlich) vor einer neutralen Wand. Sie trägt eine dunkle, geöffnete Jacke, darunter eine weitere dunkle Jacke mit Knöpfen und ein weißes Hemd, von dem nur der Kragen zu sehen ist. An einer der Jackenknöpfe ist eine Kette befestigt, an der möglicherweise eine Taschenuhr hängt. Sie wurde leicht seitlich fotografiert und blickt direkt in die Kamera. In der rechten unteren Ecke steht Draco, wobei der Buchstabe A sehr groß ausfällt, während die übrigen Buchstaben DR links und CO rechts im oberen Bereich des Buchstabens A angeordnet sind.
Kontext:
Die Malerin Rosa Bonheur (1822–1899), konzentrierte sich in ihrer Kunst v. a. auf große Tiere, die sie auf Pferdemärkten, Bauern- und Schlachthöfen studierte. Vermutlich auch zu ihrem eigenen Schutz und um in diesen männlich dominierten Umgebungen weniger aufzufallen beantragte sie 1850 zum ersten Mal eine Erlaubnis, Hosen zu tragen, die jedoch nur ein halbes Jahr gültig war. 1857 bekam sie von der Polizei dann eine ständige Sondererlaubnis.
Der Sexualwissenschaftler und Sexualreformer Magnus Hirschfeld nutze dieses Porträt von Bonheur in der Bilderwand „Sexuelle Zwischenstufen“, die vermutlich zum ersten Mal 1922 auf der „Hundertjahrfeier deutscher Naturforscher und Ärzte“ in Leipzig gezeigt wurde. Der Gründer des Instituts Magnus Hirschfeld wollte mit der Bilderwand seine um 1910 vorgelegte „Zwischenstufentheorie“ veranschaulichen und untermauern.
Sehr verkürzt gesagt, beschreibt das Konzept der Zwischenstufen die Tatsache, dass jedes Individuum sowohl „männlich“ als auch „weiblich“ ausgeprägte Eigenschaften vereint, die einen oder mehrere der vier Bereiche betreffen können: 1. die Geschlechtsorgane, 2. sonstigen körperlichen Eigenschaften, 3. den Geschlechtstrieb und/oder 4. sonstigen seelischen Eigenschaften.
Mit diesem Konzept verlagerte Hirschfeld bereits 1907 das biologisch-genitale Geschlecht hin zu einem, das u. a. auch auf der erlebten Identität beruhte. Damit ebnete die „Zwischenstufentheorie”, die „während der Institutszeit die wissenschaftliche Leitidee für die meisten Mitarbeiter“ blieb, den Weg für das Verständnis von sexueller Vielfalt und Variabilität. (vgl. Herrn, R. (2022): Der Liebe und dem Leid, Suhrkamp, S. 31). Einher ging damit auch eine Entpathologisierung und Entkriminalisierung des vermeintlich Abweichenden, von Menschen also, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm standen.