Würzburg 4. März. 1896.
Liebe, beste Luise!
Heute begin̄e ich endlich an Dich zu
schreiben, den̄ Du hast lange darauf
warten müßen, etwas von uns
zu hören. Gewöhnlich begin̄t man
einen so lange verzögerten Brief
mit einer Entschuldigung; daß
möchte ich aber dieß Mal vermei-
den, den̄ wir haben, mein Willy
und ich schon so viel an Dir ge-
sündigt; daß es mir fast wie
ein Anrecht vorkom̄t, wen̄ ich es
nicht gleich eingestehen wollte.
Der einzige Grund, welcher hier
etwas mitspielt, ist im̄er nur
der, daß ich fühlte, daß es Dir
viel mehr Freude machen wür-
de, wen̄ Dein alter lieber Jugend-
freund Dir selber schreibe, als durch
seine Frau schreiben zu laßen.
Mein Willy fühlt es ja selbst
auch so und hat im̄er die schön-
sten Vorsätze; aber zur Ausführ-
ung derselben bleibt ihm wenig
Zeit! So auch jetzt, laß es Dir
liebe Luise genügen, daß ich
diesen Brief an Dich schreibe,
es geschieht ja auf Wunsch Willy's
dem es sehr leid thut Dich noch
länger warten zu laßen und
welcher vor Arbeit nicht weiß
wo er bleiben soll.
Ja liebe Luise es ist keine Kleinig-
keit, ein berühmter Man̄ zu
werden, und die Wenigsten
haben einen Begriff, welche Ar-
beit und Unruhe so etwas
mit sich führt. - Als Willy mir
im November erzählte, daß er
eine schöne Arbeit habe, hatten wir
noch keinen Begriff, wie die
Sache aufgenom̄en werde.
Doch kaum hatte er die Arbeit
publiziert, so war unsere häus-
liche Ruhe dahin.
Jeden Tag muß ich staunen über
die enorme Arbeitsfähigkeit
meines Man̄es, daß er neben
den tausend Kleinigkeiten
die ihm zugemuthet werden,
noch die vollen Gedanken
bei seiner Arbeit behält.
Jetzt aber wird es Zeit daß
er Ruhe bekom̄t und ich rüste
Alles zur Abreise, wir wollen
für einige Wochen nach dem
Süden, damit Willy recht viel
im Freien sein kan̄. Ich danke
ja jeden Tag unserem lieben
Gott herzlich, daß er ihn so ge-
sund und kräftig ausgerü-
stet; nicht desto weniger mache
ich mir öfters Sorgen, ob es nicht
doch einmal zu viel werden
kön̄te.
Doch ich rede ja fast nur von
dem weniger schönen Theil un-
serer Erlebniße und habe noch
kein Wort über die große
Freude des Erfolges seiner Ar-
beit gesprochen. Und doch sind
wir im Herzen voller Dank-
barkeit; daß es uns vorbehalten
war eine solch' schöne Zeit, zu er-
leben. Wie viel Anerken̄ung
hat mein lieber Schatz, für sein
unermüdliches Forschen, es kön̄te
einem oft schwindelig werden,
von Allem Lob und Ehrbezeug-
ungen. Es müßte beängstigend sein,
wen̄ der Man̄, dem Solches be-
schieden, ein Eitler wäre.
Doch Du ken̄st meinen braven,
bescheidenen Man̄, wie kein
Anderer, Du kan̄st und wirst
begreifen, daß die höchste Freu-
de ihm dadurch wurde, daß es
ihm vorbehalten war, im Dienste
der reinen Wissenschaft etwas
Tüchtiges geleistet zu haben.
und dieß liebe Luise ist auch
meine innigste Freude und
füllt mich mit Stolz.
Wir wissen und fühlen, daß Du
uns verstehst und danken Dir
von ganzem Herzen dafür.
Wir sagen Dir und Deinen Lieben,
vielen Dank für die Glückwünsche
und daß Ihr unser im̄er so
freundlich gedenket.
Laß mich liebe Luise hier die Ver-
sicherung hinzufügen daß auch
wir Deiner und Deiner Lieben
öfters gedenken und wir uns
aufrichtig über jede Deiner
Nachrichten freuen. Mit warmen
Intereße hören wir Dich von Deinen
lieben Kindern erzählen, wie sie
gedeihen und den Eltern Freude
bereiten.
Wie unendlich gerne möchten
wir Euch Alle einmal sehen,
aber wen̄ Ihr nicht in's alte
Vaterland zurückkehrt, so wir
es, fürchte ich, ein unerfüllter
Wunsch bleiben, den̄ Willy hat ja im̄er
nur 8-9 Wochen Ferien und damit
geht man nicht über den Ozean in
ein Land, daß so weit und so schön
sein soll.
Zur silbernen Hochzeit solltest Du mit
Deinem Man̄e kom̄en, das wäre
eine schöne Überraschung! Du hast
ja nun große Kinder, die Dir Dein
Heim schon hüten würden.
Überlegt es doch einmal, dan̄ feiern
wir gleich Eure Hochzeit mit, den̄
soweit sind wir nicht von ein-
ander. Bitte schreibe uns doch in
Deinem nächsten Briefe, wan̄ Ihr
dieselbe feiert?
Ach wen̄ doch die lieben Eltern noch
lebten, wie würden sie stolz und
glücklich sein; waren sei doch schon
bei früheren Förderungen ihres
einzigen geliebten Sohnes schon
so glücklich.
So ist doch im Leben überall ein
Tropfen Wermuth im schönsten
Glücke. Es wird wohl so sein müßen,
den̄ sonst müßte man wohl ein-
mal fragen, warum dem Einen
so viel Gutes wird und dem An-
deren so wenig.
Von deinem Bruder Heinrich ist ge-
stern auch ein Brief gekom̄en, leider
der habe ich ihn noch nicht gelesen, den̄
ich habe in den letzten Tagen wenig
Ruhe gehabt; Willy hat sich eine kleine
Operation an der Nase machen
laßen und mußte cloroformiert wer-
den, worüber er ein paar Tage
recht elend war. - Heute geht es
besser und nun steht er schon wie-
der unten im Laboratorium.
In Len̄ep scheinen die Menschen
nicht wenig stolz auf meinen Man̄
zu sein, den̄ sie sollen daran denken
an seinem Geburtshaus eine Gedenk-
tafel anzubringen; auch wollten
sie ihn zum Ehrenbürger ernen̄en.
Liebe Luise!
Heute schreiben wir schon den 7ten
ich ließ meinen Brief so lange liegen,
hoffend daß Willy vielleicht doch auch
ein paar Zeilen beifügt. Leider
steht er so in der Arbeit, daß Du
für diesmal wieder verzichten
mußt; doch gedenkt er während
der Ferienreise einige Briefe zu
beantworten. Coh Bodenes schrieb
schon 2 Mal, dan̄ Lina in Eden, Wilhelm
in Campen, Mina Groll in Apeldoorn
und noch viele holl. Bekan̄te; aber
noch nicht Einer hat bis jetzt eine
Antwort. Ich habe sehr viel geschrie-
ben; aber da ich viel Unangenehmes
mit den Dienstboten hatte und eine
Zeitlang gast ohne Hilfe war, so
nahm mich die Haushaltung schon
stark genug in Anspruch. Ich habe
ja allerdings auch ein wenig Hilfe
an meinem Nichtchen Bertha,
welche anfängt ein großes
Mädchen zu werden, sie ist jetzt
14 Jahre alt. - Sie macht uns
Freude, den̄ sie ist ein gutes,
liebes Kind und bringt ein wen-
ig Leben in's Haus.
Also Ihr seid wieder einmal
ausgewandert! Hoffentlich dient
dieser Wechsel zu Euerem Besten;
es muß Dir doch allmählig auch
schwerer werden, Dich im̄er
wieder neu einzuleben.
Wir wünschen von ganzem
Herzen, daß Euch in dem neuen
Heim recht viel Glück beschie-
den sei.
Verzeih liebe Luise, daß ich so
flüchtig schreibe; aber es fehlt
mir die Ruhe um es besser
zu thun. Wir reisen nächsten
Dienstag, da gibt es noch vieles
zu thun.
Willy's Geburtstag werden
wir in Sorrento bei Neapel
Hotel Victoria verleben.
Gedenke seiner mit der alten
Anhänglichkeit.
Und nun empfange Du sowie alle
Deine Lieben unser Beider herz-
lichsten Grüße, mit dem Wunsche
recht bald wieder gut Nachrichten
von Dir zu erhalten
Deine
Dich liebende
B. Röntgen.