Wer das Porträt malte, ist nicht ganz klar. Vermutlich hat es Corinth zumindest eigenhändig korrigiert und übermalt, vielleicht aber stammt es insgesamt von ihm. In einem nicht unterzeichneten, undatierten Dokument ist zu lesen: „Es verdankt seine Entstehung der Unzulänglichkeit eines Schülers (des Malers Thiele), der […] seine malerische Technik bei Corinth auffrischen wollte. Th. hatte auf breiter Leinwand die Studie nach dem Modell begonnen, Corinth sah das Mißlingen, nahm dem Maler Pinsel und Palette aus der Hand und setzte mit den Worten ‚so mache man das‘ den […] Kopf in kürzester Frist von Grund auf eigenhändig daneben. Seine eigene Malerei schnitt Th. dann später ab“ (Bildakte in der Neuen Nationalgalerie). Wahrscheinlich ist der Maler Thiele gemeint, der als Postbeamter gearbeitet und Unterricht bei verschiedenen Künstlern genommen hatte, bevor er an der Berliner Hochschule für die bildenden Künste die Porträtklasse von Corinth besuchte. Charlotte Berend-Corinth, dessen Witwe, war 1952 anderer Meinung: „Ich kenne das Modell! Sorgfältig habe ich [das] Foto studiert und meine Auffassung wäre folgendermassen. Ohne Zweifel sehe ich die Hand von Lovis Corinth innerhalb vieler Partien im Kopfe. […] Trotzdem aber, wäre es, meiner persönlichen Ansicht nach zu weit gegangen das Ganze als ein Werk von Corinth zu bezeichnen“ (ebd.). Hätte Corinth hier nur flüchtig das Werk eines anderen korrigiert oder mit ihm ein Lehrstück zur Wiedergabe bestimmter Gesichtspartien beabsichtigt, so wären Abweichungen von dessen Stil erklärt. Ob Übung eines Schülers oder Demonstration des Professors: Das Bild kann als unvollendet gelten. | Emily Joyce Evans
