Nach K. E. Maison kann allein diese Skizze als Vorstudie zu Daumiers kleinem Gemälde »L´avocat et son client« (1854/56, Paris Privatsammlung) angesehen werden, neben verschiedenen in die Nähe gehörenden Zeichnungen. Unter ihnen stellen vor allem zwei aquarellierte Federzeichnungen (Maison 1968, D 614, 615, Privatbesitz) vergleichbare Situationen dar. Neunjährig war Daumier mit seinen Eltern nach Paris gezogen, wo sich sein Vater, der Glasermeister war, aber auch dichtete, vergeblich bessere Lebenschancen erhofft hatte. Daumier mußte bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr als Laufbursche, zuerst für ein Anwaltsbüro, später für eine Buchhandlung, zum Unterhalt der Familie beitragen. Ohne eigentliche Ausbildung und gegen den Willen der Eltern entwickelte er seine künstlerischen Fähigkeiten im wesentlichen als Autodidakt. Er war Demokrat und seine Kunst wird zur kritischen Chronik der Bourgeo¬isie und des spießigen Kleinbürgertums. Die Justiz und ihren Apparat hatte er zur Genüge kennengelernt, nicht nur als jugendlicher Laufbursche, sondern auch während einer halbjährigen Haft im Jahre 1832. Seine fortwährenden Angriffe auf das System des Bürgerkönigs Louis Philippe durch seine Lithographien in der Zeitschrift »Caricature« bringen ihm zunächst etliche Prozesse, schließlich nach der Zeichnung »Les Blanchisseurs«, die den Polizeiminister und den General-staatsanwalt beim vergeblichen Auswaschen des Rots aus der Tricolore zeigt, die Verhaftung. Die überhebliche Brutalität der Justiz und ihrer Akteure, die korrupt und gewissenlos das Recht verschachern, ist eines der Hauptthemen in Daumiers Kunst geblieben, auch in »Le Charivari«, deren Mitarbeiter er über Jahrzehnte war, und die den größten Teil seines Schaffens (etwa 3400 Lithographien und zahlreiche Holzschnitte) enthält.
Text: Marie Ursula Riemann-Reyher in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 385f., Kat. VII.35 (mit weiterer Literatur)