Der Sänger Karl Wallenreiter war von 1861 bis 1863 am Weimarer Theater engagiert. Böcklin wiederum war 1860 einer Berufung an die Kunstschule Weimar gefolgt. Der Maler aber wurde in Weimar nicht heimisch, er litt unter der Provinzialität des Ortes, der Etikette des Hofes, und ihm fehlte die inspirierende Landschaft und Kultur Italiens. In dieser beengenden Situation mag das Weimarer Theater für Böcklin eine wichtige Rolle als Ort der Ausflucht gespielt haben. So malte er nicht nur seinen Freund Wallenreiter, sondern auch die Schauspielerin Fanny Janauschek (Städel Museum, Frankfurt am Main).
Beide Bilder gelangten in den Besitz Wallenreiters, der ein Bewunderer von Böcklins Kunst blieb, wie ein begeisterter Brief vom Dezember 1867 bezeugt. Über ein damals in Stuttgart ausgestelltes Bild heißt es dort: »In jedem Strich erkannte ich Deine volle gesunde eigen gelernte Natur, von der Schönheit in der Malerei, der Stimmung u. der großartigen menschlichen Auffassung garnicht zu reden.« (Böcklin Memoiren, Berlin 1910, S. 171).
Das Porträt des Karl Wallenreiter ist sicher eher konventionell als großartig, aber von ›Schönheit in der Malerei‹. Wie mehrere der Weimarer Bilder zeugt es von einem Einfluß der venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts. Böcklin hat wohl im Zusammenhang mit der Reise nach Weimar auch die Dresdner Galerie besucht. Das Bildnis von Wallenreiter zeigt Anklänge an ein Gemälde Tizians in Dresden, dem »Bildnis des Farbenhändlers Alvise dalla Scala« von 1561 (Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden). Auf beiden Bildern ist der Porträtierte vor einem Pfeiler dargestellt, der der Komposition Festigkeit verleiht und zugleich einen weiten Blick ins Land erlaubt. Der Pfeiler gehörte seit Weimarer Tagen zu Böcklins Repertoire. Mitsamt den Lorbeerzweigen begegnen wir ihm noch in einem Selbstbildnis von 1873 (Hamburger Kunsthalle). Das Motiv des gerollten Papiers mit zusätzlichen Informationen – hier erkennt man einen Baßschlüssel und den Anfang des Wortes »Adagio« – benutzte Böcklin wenig später nochmals in dem Gemälde »Sappho« (Kunstmuseum Basel). | Angelika Wesenberg