Der Salon de Paris war eine jährliche Kunstausstellung, die 1667 unter Ludwig dem XIV gegründet wurde. 1887 wurde André Brouillets großformatiges Ölgemälde „Une leçon clinique à la Salpêtrière“ dort ausgestellt. Für den Katalog wurde das Motiv von Abel Lurat in Kupfer gestochen. Die Szene zeigt eine Lehrstunde bei Dr. Jean-Martin Charcot, einem französischen Arzt und Begründer der modernen Neurologie. Er erklärt einem ausschließlich männlichen Publikum die Symptome einer jungen Frau, die offenbar bewusstlos in die Arme eines hinter ihr stehenden Herren zurückgesunken ist. Reizvoll an dem detailreichen Bild sind die unterschiedlichen Gesichtsausdrücke der Person. Wir sehen gespannte Aufmerksamkeit, Neugier, Skepsis, ein wenig Voyeurismus im Publikum und
empathische Zuwendung bei dem hilfsbereiten Herren hinter der Patientin.
Unter Charcots Leitung wurde die 1656 erbaute Salpêtrière Ende des 19. Jahrhunderts das europäische Zentrum der Forschung zur Hysterie. Charcot nutzte Hypnose, unter anderem zur Differentialdiagnostik zwischen organischen und hysterischen Erkrankungen. Seine Methoden waren immer umstritten, verschafften ihm ungeachtet dessen weltweites Ansehen.
Zu seinen Schülern zählen berühmte Persönlichkeiten wie Georges Gilles und Sigmund Freud. Hysterie als Sammelbegriff für nicht somatisch bedingte neurologische Störungen leitet sich vom altgriechischen "hystera" (Gebärmutter) ab. Im antiken und frühneuzeitlichen Verständnis wurden derlei Störungen von der "unausgeglichenen" Gebärmutter, also ausschließlich von der weiblichen Physis ausgelöst. Paul Julius Möbius definierte 1888 die Hysterie als "alle diejenigen krankhaften Erscheinungen, die durch Vorstellungen verursacht sind" und löste sie damit von der geschlechterspezifischen Zuschreibung.