Indianapolis, Ind. den 17. März
1896
Lieber Wilhelm!
Noch unentschlossen, ob ich
es wagen darf, noch einmal an
Dich zu schreiben, sitze ich hier an
meinem Tischchen, hin und her den-
kend was ich thun soll. Obwohl
mir die täglichen Zeitungen immer
etwas Neues über Deine groß-
artige Erfindung bringten und
dann die vielen, hohen Ehren-
bezeugungen welche Dir zu Theil
werden, so unterliegt es ja wohl
keinem Zweifel, daß Du glück-
lich und zufrieden bist und so
könnte ich ja doch wohl wissen,
daß es Dir wohl geht; und doch,
lieber Wilhelm warte ich fast
mit fieberhafter Unruhe auf
einige Zeilen von Dir. Ich war
vor einigen Wochen zum Besuch
bei einem Pastor Stern D. D.; im
Laufe des Gesprächs sagte Er zu mir:
Der Name "Röntgen" wird ja jetzt
viel genannt und weltberühmt;
bekommen Sie zuweilen Briefe von
Ihrem Herrn Vetter? ich sagte Ja
nun sagte der Herr Doktor: Theilen
Sie dem Herrn Professor mit, daß Er
mit der größten Hochachtung gegen
Ihn erfüllt sei und sich ganz beson-
ders freue, daß die Universität
Würzburg die große Ehre habe,
daß diese großartige Erfindung
von einem ihrer Professoren ent-
deckt worden sei; Dr. Stern hat auch
in Würzburg studirt und wenn
ich recht verstanden habe, haben seine
Eltern in oder bei Würzburg gewohnt.
So bekomme ich von verschiedenen
Seiten manchmal Zeitungen, wo
Deine Erfindungen erklärt und
aufs Höchste gelobt werden, manch-
mal fehlt der Humor nicht dabei;
die verschiedensten Illustrationen
bringen die Zeitungen, und ich hatte
schon einmal große Lust, mehrere
auszuschneiden und sie Dir zuzusenden,
doch der Muth fehlte mir dazu.
Fast jede Zeitung brachte Dein wohl-
getroffenes Bild, und oft nehme ich
die Zeitung mit demselben in meine
Hand und betrachte das männliche
Gesicht mit dem kindlichen, treuen
Auge, und denke dann wenn du
doch mit den erfundenen Lichtstrah-
len einmal in mein Herz hinein
schauen könntest, wie so was es
mir manchmal zu Muthe wird bei
dem Gedanken, daß Du mich ver-
gessen hättest; bitte schreibe mir
doch einmal, ob ich Euch beleidigt habe;
oder was es ist, daß ich keinen Brief
mehr von Euch bekomme;
Habt Ihr mich ganz aus Eurem Her-
zen geschlossen? Ich kann mich diesem
Gedenken nicht hingeben, es würde
mich einsam, ja verstoßen fühlen
machen.
Diese Zeilen werden wohl etwas
verspätet zu Deinem Geburtstage
ankommen, doch empfange nachträglich
meine herzlichsten Segenswünsche,
lieber Wilhelm! Gönne meinen
geringen aber aufrichtigen Wünschen
einen freundlichen Blick und
bewahre Deiner einzigen Cousine
von unsern theuren, unvergeßlichen
Vätern her, Deine alte Liebe. Und
nicht wahr? Liebe Bertha! auch Du be-
wahrst mir ein kleines Plätzchen
in Deinem Herzen und erzählst mir
recht viel von Eurem zu Theil gewordenen
Glück! So lebt denn wohl und behaltet
lieb Eure Cousine Louise
Herzliche Grüße von Julius und allen Kindern. bitte schreibt bald.
Lieber Wilhelm!
Eben als ich den Brief geschrieben, überbrachte
mir unser kleiner Willy die Germania,
eine der weit verbreitesten Zeitungen
hier in Amerika; seitdem der Name
Röntgen so weltberühmt geworden, bin
ich, ich möchte nicht sagen Zeitungs-Leser
sondern Durchstöberer geworden, und
wenn mein Auge auf den geliebten
Namen fällt, da bleibt es für eine
Weile ruhen; ich lese alles mit dem größten
Interesse; Du glaubst aber gar nicht
wie verschieden und of sehr mangelhaft
die verschiedenen Zeitungen über
Deine Abstammung, Familie, Studien-
zeit usw. berichten; beiliegend ein Exemplar
von unsern Vorfahren, wie gefällt
Dir diese Erfindung? Ich habe dieses so
eben gelesen in der heutigen Nummer
von erwähnter Zeitung. Ich werde den
geehrten Herrn Redakteur eines besseren
belehren. Nun, lieber Wilhelm! Sei mir nicht
böse; und erfüllt doch bitte bald meinen heißen
Wunsch u. schreibt. Eure alte Louise.
Röntgen, der Entdecker der
X-Strahlen steht, wie aus Au-
rich, dem Hauptorte Ostfries-
lands gemeldet wird, in naher ver-
wandschaftlicher Beziehung zu den
in Ostfriesland zahlreich vorhan-
denen Familien gleichen Namens.
Der Großvater des Prof. Röntgen
war Pastor in Petkum bei
Emden, später Superintendent in
Esens. Dieser hinterließ einen
Sohn und mehrere Töchter, welche
letztere in Aurich eine Töchterschule
gründeten, die sich seinerzeit eines
guten Rufes erfreute. Der Sohn
ging als geachteter Ingenieur in
holländische Dienste, wo er sich als-
bald zu einer geachteten Stellung
emporarbeitete. Ein Sohn des
Letzteren, also der Enkel des Su-
perintendenten Röntgen, ist der
Entdecker der X-Strahlen.
Der Erfinder Edison erklärt, er hoffe mit Hülfe der Röntgen'schen
Strahlen den Blinden das Licht wieder zu geben, falls der Seh-
nerv nicht gelitten habe. Versuch, welche er mit zwei Blinden gemacht, seien befrie-
digend verlaufen.