Das allegorische Porträt gedenkt der Chevalière d'Éon, einer schillernden Persönlichkeit des 18. und frühen 19. Jh., die vor allem dadurch Berühmtheit erlangte, dass sie sowohl als Mann als auch als Frau in der Öffentlichkeit auftrat und in fortgeschrittenem Alter zu ihrem Lebensunterhalt Fechtkämpfe in Frauenkleidern aufführte. Charles-Geneviève-Louis-Auguste-André-Timothée d’Éon de Beaumont (1728-1810) war studierter Jurist, Schriftsteller, hervorragender Fechter, Soldat im Siebenjährigen Krieg sowie Diplomat und Spion unter Ludwig XV. Er verkehrte am russischen und englischen Hof und wurde für seine Verdienste mit dem Orden des Hl. Ludwig belohnt, der d'Éon zum Chevalier machte. Nach privaten wie diplomatischen Verstrickungen durfte er 1777 nur unter der Bedingung nach Frankreich zurückkehren, dies mit weiblicher Identität zu tun, wobei er sich wohl auch schon zuvor mitunter als Frau ausgegeben hatte. Zeitlebens wurden Wetten auf sein Geschlecht abgeschlossen. Es entstanden weibliche und männliche Porträts sowie Darstellungen mit Merkmalen beider Geschlechter. Während nach d'Éons Tod zweifelsfrei sein männliches Geschlecht festgestellt werden konnte, ist bis heute nicht geklärt, ob er tatsächlich transvestitische Neigungen hatte oder ob es sich um eine rein durch äußere Umstände bedingte "Maskerade" handelte.
Das vorliegende Bildnis ist d'Éon als Frau und Heldin gewidmet, bringt aber auch Attribute seiner Männlichkeit. Ein rundes Medaillon enthält das Bildnis der Chevalière als Frau mit Rüstung und Helm, die Umschrift zitiert einen Vers aus der Aenaeis zum Tod des Helden Pallas. Die hinterfangende Draperie und das aus verschiedenen Gegenständen bestehende Postament enthält zahlreiche Hinweise auf d'Éons Tugenden und Taten. Ein Wehrgehänge mit Säbel und ein Dragonerhelm erinnern an d'Éons Militärdienst. Ein aufgeschlagenes Buch kündet von seinen militärischen Erfolgen, ein anderes Buch weist auf seine diplomatischen Tätigkeiten hin. Ein versiegeltes Dokument bezeichnet ihn als Geheimkorrespondentin im Dienste König Ludwigs XV.
Angefertigt wurde der Stich von Pierre Jean Baptiste Bradel, einem um 1750 in Paris geborenen Zeichner und Kupferstecher, der vor allem Porträts anfertigte. Von ihm stammen mehrere Bildnisse d'Èons - sowohl als Mann als auch als Frau. Es liegt nahe, dass der Stich nach dem Tod d'Éons angefertigt wurde, womit er die bis dato späteste belegte Arbeit des Künstlers darstellt. [Johanna Kätzel]