Mit dem Vermächtnis des Konsuls Joachim Heinrich Wilhelm Wagener gelangten 1861 die ersten zwei Hochgebirgsdarstellungen von Stanislaus von Kalckreuth in die Sammlung der Nationalgalerie (Inv.-Nr. W.S. 101 und 102, beide Kriegsverlust). Sie beruhten auf Vorarbeiten, die der Maler 1854 auf einer Studienreise in die Pyrenäen angefertigt hatte. Das erhabene Motiv des Hochgebirges war Kalckreuth an der Düsseldorfer Akademie durch seinen Lehrer Johann Wilhelm Schirmer vermittelt worden; es blieb eines der bevorzugten Motive in Kalckreuths Landschaftsmalerei. Auch noch in den späten 1870er Jahren, nach dem Rücktritt als Direktor der Weimarer Kunstschule und der Übersiedelung nach Kreuznach, bereiste Kalckreuth die Alpen, speziell das Berner Oberland. Zurück im Atelier schuf er heroische Gebirgsansichten, darunter 1878 eine Darstellung des Rosenlaui-Gletschers (Nationalgalerie, Inv.-Nr. A I 278, Kriegsverlust) sowie die vorliegende Ansicht des Finsteraarhorns, des höchsten Gipfels der Berner Alpen. Wenige wettergepeitschte Tannen stehen schief und einsam in der kargen Landschaft, vor dem Panorama der gewaltigen, schneebedeckten Höhenzüge, die im Licht der untergehenden Sonne in leuchtendes Rot getaucht sind. Die besondere, heute fast kitschig anmutende Lichtsituation der Abenddämmerung war Kalckreuth wirkungsvoller Effekt, um die Dramatik der unwirtlichen Landschaft bis zum Äußersten zu steigern. | Regina Freyberger