Die "Badende" gehört zum Motivkreis einer Frau in schreitender Stellung, die Lehmbruck in verschiedenen Variationen ausführte. Skizzen einer dem Wasser entsteigenden, von zwei Männergesichtern beobachteten Frau aus dem Jahr 1913 weisen auf den Bedeutungszusammenhang der Plastik hin: "Susanna im Bade", ein vor allem im Barock häufig vorkommendes Bildthema aus den Apokryphen des Alten Testamentes. Zwei alte Richter, die selbst die schöne Frau begehren und sie im Bad heimlich beobachten, beschuldigen sie, da sie sich abweisend zeigt, des Ehebruchs. Ohne direkten Hinweis auf diesen biblischen Texthintergrund gestaltete Lehmbruck die weibliche Gestalt, die, ihre Scham bedeckend, dem Wasser entsteigt. Er variiert hier eines seiner Grundthemen, das auch ein Thema seiner Zeit war: die Spannung zwischen den Geschlechtern. Die Frau erscheint im Gegensatz zum Mann und dessen zerstörerischem Begehren als heil und Heil bringend. Schön und unschuldig verführt sie absichtslos. Wie schon bei den Ausführungen der "Sinnenden" verkörpert die "Badende" ihre in diesem Fall gefährdete Unversehrtheit. Noch einmal ist an diesem Werk zu erkennen, wie weit Lehmbruck sich auch innerhalb der Moderne von dem entfernt hatte, was unter Skulptur oder Plastik überhaupt möglich schien. Etwas Geistiges, Immaterielles, eine innere Regung durch die ausdrucksvolle und immer radikaler werdende plastische Gestaltung der Körperformen ohne eine rhetorische Gestik zu fassen, das war radikal, völlig neu und, gemessen an den Tendenzen der Neuklassik und des Neobarock, geradezu "unkünstlerisch". Durch das Enttäuschen der herkömmlichen Erwartungen und durch die Formulierung einer neuen Sprache des Körpers erhalten die Plastiken Lehmbrucks jene hohe emotionale Aufladung, die das Gesamtwerk weit aus seiner Zeit hebt.
Signatur: LEHMBRUCK (auf der Standfläche)
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