Eine Aufschrift, vom Künstler selbst auf eine Zeichnung geschrieben, gibt die Gewißheit, daß der Sinn der Darstellung von ihm genau überlegt war. In diesem Fall ist ihr Inhalt (»die das Nest kennen, die kennen es, der es raubt, der hat es«) nicht leicht mit dem Sichtbaren in Einklang zu bringen, ja erst die Aufschrift macht alles
problematisch. Üblicherweise gehört sie zu Darstellungen des Sprichworts vom Vogelnest, wo tölpische Bauern einen Knaben beobachten, der frech ein Nest ausnimmt, das sie ebenfalls gekannt hatten, ohne aber ihr Wissen zu nutzen. Auf unsere Darstellung angewendet hieße das, die Imker bereiten mit professioneller Umständlichkeit das Einfangen eines Bienenschwarms vor, den ihnen ein flinker Junge kühn wegschnappt, wobei er, auf Schutzkleidung verzichtend, die schmerzhaften Stiche in Kauf nimmt. Wir sehen jedoch keinen Schwarm, auch keinen Sack, mit dem der Junge die Bienen fangen könnte, sein Tun im Baum bleibt unklar. Hätte Bruegel diese Aussage geben wollen, hätte er sie deutlich gemacht. Insofern hat eine neuerlich vorgeschlagene politische Deutung der Szene viel für sich: Bildersturm und darauf folgende Massenhinrichtungen durch Alba in Brüssel (seit August 1567; uns vertraut durch Goethes Egmont und Schillers Don Carlos) hatten ohne Zweifel auch Bruegel tief erschüttert. Karel van Mander, der niederländische Künstlerbiograph (1604) überliefert, daß Bruegel auf dem Totenbett politisch anstößige Arbeiten durch seine Frau vernichten ließ. War die Aussage verschlüsselt genug, durfte das Blatt erhalten bleiben.
Text: Hans Mielke in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 183f., Kat. IV.22 (mit weiterer Literatur)
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