Detailreich und mit knappen Strichen ist das kurze Fell dieses hundeartigen Tiers scheinbar wirklichkeitsnah wiedergegeben. Auch der rundliche Körper mit den wie im Schlaf angezogenen Pfoten gleicht dem eines harmlosen Haustiers. Der Schrecken liegt im schlitzartigen Auge und dem großen Maul, mit dem das Wesen kleine nackte Menschen auffrisst. Oder quellen dem ermatteten Untier hier die im Überfluss verschluckten Menschenleben wieder aus dem Rachen? Dieses Blatt entstand in Zusammenhang mit Goyas berühmter druckgraphischer Serie über die Schrecken des Krieges („Los Desastres de la Guerra“). Es erscheint wie ein Resümee der dort aufgezeigten Grausamkeiten. Der Krieg wird als ein grimmiger Hund gezeigt, gegen dessen übermächtige Größe das einzelne Menschenleben chancen- und bedeutungslos wird. Auf drastische Weise wird hier deutlich: Durch Krieg kommen Menschheit und Menschlichkeit auf den Hund. Dieses Blatt wurde Anfang Juni 1914 für die Sammlung des Kupferstichkabinetts erworben – nur wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, dessen Schrecken auch Kollegen des Museums am eigenen Leib erfahren mussten, darunter der Goya-Experte Valerian von Loga, der im Felde Verletzte pflegte.
Text: Dagmar Korbacher in: Wir kommen auf den Hund. Werke aus fünf Jahrhunderten von Dürer bis Dieter Roth. Eine Sommerausstellung im Kupferstichkabinett, hg. von Hein-Th. Schulze Altcappenberg und Lydia Rosía Dorn, Berlin/Petersberg 2015, S. 104.
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