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Kupferstichkabinett [KdZ 12319]
http://www.smb-digital.de/eMuseumPlus?service=ImageAsset&module=collection&objectId=1056382&resolution=superImageResolution#823719 (Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin CC BY-NC-SA)
Provenance/Rights: Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders (CC BY-NC-SA)
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Kopf eines schreienden Kindes

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Description

Die Studie eines schreienden Kindes (vgl. auch KdZ 1070) steigert die Schilderung unerträglichen Schmerzes oder dramatischer Seelenpein ins Extreme. Konzentriert auf Gesicht und Hals studiert Grünewald in dieser Zeichnung einen kindlichen Lockenkopf in spektakulärer Ansicht. In heftigster Regung wirft das Kind mit aufgerissenem Mund den Kopf in den Nacken. So schauen wir geradewegs in das tiefe Dunkel des weit aufgerissenen, schmalen, aber zum Halbrund geformten Mundes. Minutiös studiert wird die Oberkieferzahnreihe mit einigen Lücken. Lippenumriß, Zunge und Gaumen sind ebenfalls zu erkennen. Wie von einem breiten Rahmen wird der Mund von der bucklig-verkrampften linken Wange des Kindes hinterfangen. Gebogene Schraffenbänder definieren nachdrücklich die plastische Form und Wölbung dieses auffälligen Gesichtsdetails. Korrespondierend mit der weit aufgerissenen Mundpartie gibt Grünewald das Obergesicht mit heftig zugekniffenen Augen und affektgekräuselter Stirn hinter einer kleinen Stupsnase in strenger Verkürzung. Demgegenüber entwickelt sich der mächtige und durch die heftige Kopfneigung ebenfalls wie aufgequollen wirkende Hals in gemäßigter Aufsicht nach unten. Das kleine Kinn ragt nur wenig aus dem Verbund des massigen Halses mit deutlichem Kehlkopf hervor.
Tonige Wischtechnik in Verbindung mit wenigen, hauchzarten Schraffuren unterstützt an Hals und Wangen den Eindruck einer leicht gedunsenen Epidermis. Das Licht fällt steil von links oben auf das Kind herab, denn seine Lockenfrisur wirft einen Schatten auf die Schulter. Mit Weiß gehöhte Spitzlichter sind noch auf den Brauenbögen sowie rechts der Nasenspitze des Schreienden zu erkennen. Unten wird das dramatische Antlitz von einem geknöpften Hemdkragen begrenzt, den Grünewald in knapp gesetzten, sicheren Strichen rahmend um die Kopfstudie legt: »Der Vergleich, der Kopf liegt wie auf einem Tablett, mag gestattet sein«.
Offensichtlich wirkt diese Affektstudie wie ein nochmals im Ausdruck gesteigerter Alternativentwurf zu dem anderen Blatt eines schreienden Kindes. Neben der engen Typenverwandtschaft stehen sich auch charakteristische Gesichtsdetails sehr nahe, wie etwa der kräftige Hals, der kleine, stark gekurvte Oberkiefer, die bucklige Jochbeinlinie dahinter und die Stirnlocke des Kindes. Trotz der bewegungsbedingten Verzerrungen läßt sich in beiden Gesichtern dasselbe Modell erkennen. Und weil die Übereinstimmungen so greifbar sind, wird man hier auch in beiden Fällen tatsächlich Studien nach lebenden Personen annehmen dürfen. Auf dem anderen Blatt blieben zahlreiche Pentimentlinien stehen. Solche Korrekturen waren auf dieser Studie kaum (mehr?) nötig. Lediglich die Halslinie wurde rechts in einem kräftigen Abwärtsstrich nachkonturiert. Wollte man also eine Reihenfolge der Studien vorschlagen, so wäre diese wohl die reifere. Sie konnte bereits auf die ausdruckssteigernden Modifikationen der anderen Zeichnung aufbauen, etwa in der Umrißführung der Wangenlinie.
Der Zusammenhang beider Studien wirft die Frage ihrer ursprünglichen Widmung auf. Waren es Alternativstudien zu einer einzelnen Figur oder typengleiche Entwürfe für ein Paar oder gar eine Gruppe mehrerer Kinder oder Engel? Ganz ausgeschlossen scheint mir für die vorliegende Studie eine Bestimmung als singender Engel zu sein, die für den anderen Entwurf mit Blick auf das Isenheimer Engelskonzert der Zeit um 1515 noch erwogen werden konnte. Konzertanter Gesang entweicht dem hier weit aufgerissenen Mund zweifellos nicht. Unabhängig davon aber sind die typenmäßigen Beziehungen zu den Isenheimer Engelsphysiognomien nicht von der Hand zu weisen. Sie werden, wie Schoenberger mit seiner Datierung um 1515/16 bereits vorschlug, bei der zeitlichen Einordnung der Studien zu berücksichtigen sein.
Und so bleiben zur motivischen Anbindung dieser und der Alternativstudie nur Werke im Œuvre Grünewalds, die noch extremere Affekte oder gar pathologische Erscheinungen zum Ausdruck

Material/Technique

Kohle, partiell flächig gewischt, fixiert, Reste weißer Pinselhöhung

Measurements

Höhe x Breite: 24,7 x 20,2 cm

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Das Kupferstichkabinett ist das Museum der Graphischen Künste bei den Staatlichen Museen zu Berlin. Es bildet dort das Sammlungs-, Kompetenz- und...

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