Seit den 1820er Jahren beschäftigte Waldmüller das Gruppenbildnis, die Darstellung von zwei oder mehreren Personen, die er durch erzählerische Momente lebensvoll miteinander verband. Gleichzeitig sah er sich durch die Auftraggeber und den Zeitgeschmack an kompositorische Vorgaben gebunden. Das Doppelbildnis der Frau Lindner mit ihrem Sohn bringt diesen künstlerischen Zwiespalt beispielhaft zum Ausdruck: Auf der einen Seite sind Mutter und Kind in ihrer Umarmung streng in eine pyramidale Konstruktion eingebunden. Eine vom Scheitel über Nase und Zierleiste des Kleides führende Diagonallinie im Körper der Frau korrespondiert mit der Waagerechten ihrer Armhaltung und der Senkrechten des sich umblickenden Knaben. Diese feste Bildtektonik unterstreicht die Würde der Dargestellten und die repräsentative Funktion des Bildes, dem auch die sorgfältige Wiedergabe des Stofflichen dient, der feinen, blumengeschmückten Spitzenhaube mit Seidenschleifen, der prachtvollen Fülle des schimmernden rotvioletten Atlaskleides und dem samtenen Schwarz der Jacke des Jungen. Auf der anderen Seite spricht das verhaltene, aber dennoch lebendige Mienenspiel in den Gesichtern von Mutter und Sohn von großer Lebensnähe. | Gerd-Helge Vogel
en