»Die verklärte Charlotte« wurde das Bild scherzhaft genannt, solange es noch in der Wohnung der Familie Corinth in Berlin-Tiergarten hing. 1904 hatte der Maler Charlotte Berend (1880–1967) geheiratet, zufällig seine erste Schülerin in der 1901 in Berlin eröffneten Malschule für Damen. Sie wurde nicht nur sein häufigstes Modell – als Geliebte, Mutter oder in allegorischer Verkleidung – sie förderte auch Corinths Arbeit durch Verständnis und Ermutigung ganz ungemein. Auf diesem Bild ist Charlotte Berend sinnlich, träge und wie entrückt, dem neuen Leben in sich nachspürend dargestellt. Sie steht kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes, der Tochter Wilhelmine. Corinth malte sie aus dem Bewußtsein großer Nähe heraus, und nichts sollte diese stören: »wir achteten beim Malen immer darauf, in besonders guter seelischer Verfassung zu sein«, berichtete die Dargestellte (in: Ch. Berend-Corinth, Die Gemälde von Lovis Corinth, München 1958, S. 134).
Psychologisch einfühlsam hielt Corinth den labilen Zustand seiner Frau in einer skizzenhaften Malweise in lichten, pastellhaft wirkenden Farben fest. Selbst das Grün des Seidenschales und das Blau der Decke sind nur wie ein Farbhauch. Einzig das Gesicht, von dunklen Haaren umrahmt, ist genauer ausgeführt. Corinth gelang mit diesem Porträt die nach Meinung der Dargestellten und »nach allgemeinem Urteil reifste, glücklichste der vielen mir gewidmeten Bildnisdarstellungen.« – Nach dem Vorbild eines der berühmten Damenbildnisse von Raffael im Palazzo Pitti in Florenz erhielt das Bild seinen offiziellen Titel »Donna Gravida«. | Angelika Wesenberg
en