Von 1882 bis 1886 malte Leibl in Aibling an dem mehrfigurigen Gemälde »Die überraschten Wildschützen«, von dem wir hier ein Fragment sehen. Die Modelle zu seinem Bild hatte er sorgfältig ausgesucht. Das Motiv war diesmal ein ungewöhnlich dramatisches: Vier Wilderer, auf der Flucht, warten angespannt lauschend und mit schußbereiten Gewehren in der Ecke eines Raumes. Zur Ausführung des geplanten großen Bildes baute sich Leibl ein neues Atelier, aber auch in diesem konnte er nicht weit genug zurücktreten, um sein Werk zu übersehen. Die Proportionen der lebensgroßen Figuren mißrieten (vgl. E. Waldmann, Wilhelm Leibl, Berlin 1930, S. 71 mit Abb.).
Vielleicht wählte Leibl das Motiv seines Bildes passend zur erstrebten Malweise: Keine ruhigen Existenzbilder in altertümelnder Feinmalerei sollten es mehr sein, sondern eher stilisierte Ereignisbilder in lebhafter Pinselschrift. An den Bruder Johann schrieb er im Dezember 1883: »Ich habe den von mir in letzter Zeit eingeschlagenen Weg vollständig verlassen und male jetzt ganz anders und hoffentlich kräftiger und gesünder« (Wilhelm Leibl, Briefe, Hildesheim 1996, S. 228). Die sachlich scharfe Wiedergabe seiner Modelle während dieser Phase seines Schaffens zeigt sich an dem Gesicht, auch dem Hemd des Jungen besonders deutlich. »Unter dem funkelnden Email der Farboberfläche liegen die Pinselstriche breit und mächtig da, man sieht, wie sie die großen Formen in großer Bewegung modellieren, heftig und mit erregten Kurven, wie mit dem Fechtsäbel ist Leibl mit dem Pinsel auf die Erscheinung losgegangen« (Waldmann, ebd., S. 72). Im April 1887 schickte Leibl das fertige Werk, bereits mit gewissen Zweifeln, an die Galerie Petit in Paris. 1888 versuchte er es dem Kölner Museum zu verkaufen, im Januar 1889 zeigte er es ohne Erfolg in der Galerie Gurlitt in Berlin. Kurze Zeit später muß er es, wie zuvor bereits andere Bilder, zerschnitten haben. Die Zerstörung dieser langwierigen, mit großen Hoffnungen begonnenen Arbeit erfolgte sicher zunächst spontan aus Wut und Enttäuschung, wie eine gekrümmte Schnittstelle an dem Fragment »Wildschützen« noch heute zeigt; sodann aber auch, um den einzelnen Teilen zu besserer Wirkung zu verhelfen. – Zwei weitere Fragmente des ursprünglichen Bildes befinden sich in Privatbesitz, das Fragment »Zwei Hände mit Gewehr« im Wallraf-Richartz-Museum, Köln. | Angelika Wesenberg
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