Stilke, der ab 1833 Geschichtsmalerei in Düsseldorf studierte, kannte mit Sicherheit das dort 1835 ausgestellte Bild »Die Ermordung der Söhne Eduards IV.« von Theodor Hildebrandt (Museum Kunstpalast, Düsseldorf) – ein Thema, das 1831 bereits Paul Delaroche behandelt hatte (Musée du Louvre, Paris). Auch noch in Düsseldorf erlebte Stilke die Aufregung um die beiden belgischen Historienbilder, welche 1842 im nahen Köln zu sehen waren: Louis Gallaits »Abdankung Karls V.« (1841) und Edouard de Bièfves »Der Kompromiß des niederländischen Adels im Jahre 1566« (1841; beide Musées Royaux des Beaux-Arts, Brüssel). 1850 ließ sich Stilke in Berlin nieder, im selben Jahr entstand seine eigene, um Einfühlung bemühte Darstellung der Geschehnisse um die Söhne Eduards IV.
Im Vordergrund sieht man in charakteristischen Haltungen die Protagonisten der dramatischen Szene in der Londoner Westminster Abbey: Die verwitwete Königin hält kniend ihren jüngsten, vertrauensvoll zu ihr aufschauenden Sohn an sich gedrückt. Die Figur des älteren Sohns, des Prinzen von Wales, krönt die kleine, hell beleuchtete Gruppe. Sein rechter Arm umfaßt die Mutter, den anderen hält er schützend über den kleinen Bruder. Sein Gesicht ist zornig dem aus dem Dunkel heraus nach dem Kind greifenden Oheim, dem Herzog von Gloucester und späteren König Richard III., zugewandt. Alle übrigen Personen bleiben im Dämmerlicht: das bewaffnete Gefolge Gloucesters links und die verschreckten Frauen mit dem alten Priester rechts. Von der Entführung der Kinder des englischen Königs in den Tower, die 1483 im Zusammenhang mit Thronkämpfen stattfand und mit dem ungeklärten Tod der Knaben endete, wußte man im 19. Jahrhundert vor allem durch das Drama »Richard III.« (1597) von William Shakespeare. | Angelika Wesenberg
en