Im Frühjahr 1912 reiste Lovis Corinth, der im Dezember einen Schlaganfall erlitten hatte, mit seiner Frau zur Erholung nach Bordighera an der italienischen Riviera. Noch waren die Bedingungen des künftigen Lebens unklar und die Möglichkeit weiterer Kunstausübung stand in Frage. In Bordighera beteiligte sich das Ehepaar dennoch an dem dortigen Blumenkorso. Sie fuhren in einem offenen, geschmückten Wagen durch die Stadt, wie Charlotte Berend-Corinth (1880–1967) berichtete. »Lovis und ich waren sehr angeregt und heiter, als wir dann in unser Hotelzimmer zurückkahmen. Ich nahm den Mantel ab und legte mir mein weißes Pelzcape über eine Schulter und erzählte lebhaft von der Corsofahrt« (Ch. Berend-Corinth, Lovis Corinth, Bildnisse der Frau des Künstlers, Stuttgart 1958, S.17). Corinth verlieh die intensive Lebensfreude, die sich fühlbar und sichtbar ausgebreitet hatte, nach den Wochen der Krankheit neuen Arbeitsmut. Er hielt das Bild seiner Frau Charlotte in raschen, lebhaften Pinselstrichen und rokokohaft heller Farbigkeit fest: Blau, Gelb, Weiß, Rot. »Lovis malte das Bild bis zum Eintritt der Dunkelheit. Die weit geöffneten Fenster ermöglichten ein gutes Licht. Am folgenden Tag wurde das Bild schnell beendet« (ebd., S. 18). Die sprühende Begeisterung und Lebendigkeit seiner Frau hatten Lovis Corinth zu einer spontanen, fast fiebrigen Malweise geführt. Es entstand ein offensives Bildnis, das eine neue, expressivere Werkphase, das Spätwerk, einleitete. | Angelika Wesenberg
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