Vor dem Hintergrund der Reichsgründung und der Suche nach einer eigenen nationalen Identität wurde im 19. Jahrhundert vielfach die altdeutsche Geschichte bemüht: Der Reformationszeit, und mit ihr Martin Luther, kam dabei seit dem Reformationsjubiläum im Jahre 1817 eine große nationale Bedeutung zu. Der Maler Gustav Spangenberg, der als Künstler Dürer und Holbein besonders verehrte, wandte sich um die Mitte der 1860er Jahre in einer Reihe von Bildern dem Leben und Schaffen des »protestantischen Helden« zu (Hans Preuß, Lutherbildnisse, Leipzig 1913, S. 18). Das auf Bestellung der Landeskunstkommission entstandene, großformatige Gemälde »Luther, die Bibel übersetzend« von 1870 zeigt den Reformator in seinem Arbeitszimmer in Wittenberg, umgeben von Gelehrten, die ihn bei der Übersetzung des Alten Testaments beraten. Links neben Luther sitzt Johannes Bugenhagen, daneben ein mit Luther lebhaft diskutierender Rabbi, sodann Justus Jonas im schwarzen Talar. Hinter Luther stehen Philipp Melanchthon und Georg Rörer; in der Nische am Fenster ist ein hebräischer Gelehrter in einen Folianten vertieft, ihm zugewandt ist, eine Feder in der Hand, Johannes Mathesius zu sehen, dessen Berichte Spangenberg als Textquelle gedient haben mögen (vgl. Beschreibendes Verzeichniss der Kunstwerke in der königlichen National-Galerie, Berlin 1876, S. 207). Vielfach ausgestellt und reproduziert, prägten Spangenbergs Lutherdarstellungen weit über das Lutherjahr 1883 hinaus das idealisierte Bild des Reformators als »friedlichen Generalsuperintendenten, Vertreter einer milden Vermittlungstheologie und treusorgenden Hausvater« (H. Preuß, ebd., S. 18). | Regina Freyberger
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