Das Motiv ist in der christlichen Bildtradition mehrfach verankert: Es greift auf Darstellungen des Heiligen Hieronymus – in seiner Studierstube oder als Büßer in der Wüste – ebenso zurück wie auf Bilder der von Engeln belauschten Geburt Christi im Stall. Doch wie schon bei dem »Betenden Einsiedler in felsiger Einöde« (1877, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt) ist es Böcklin um Vergegenwärtigung und Vitalisierung der alten Bildgegenstände zu tun. Drastische und komische Motive leisten dabei das, was in Fritz von Uhdes religiösen Bildern das zeitgenössische Milieu leistet. Im »Einsiedler« sind es Himmelskinder, die die ganze Spanne zwischen Alltag und Wunder überbrücken: Zwei von ihnen, die in einer Lichtwolke erscheinen, stehen Correggios berühmter Heiligen Nacht in der Dresdner Gemäldegalerie nahe, eines hingegen ist in voller Greifbarkeit und Individualität ganz Schalk und Störenfried. Erst recht erinnert die rührende Mühsal des gebeugten Alten mit dem Instrument, dessen Töne er zur Weihgabe an Maria bestimmt, an Gestalten von Carl Spitzweg oder Eduard Grützner. »Der Einsiedler« gehörte einst zu Böcklins populärsten Werken; um so entschiedener kritisierte Julius Meier-Graefe 1905 an ihm »das Ungeordnete« divergierender künstlerischer Ansätze und die Zugeständnisse an die populäre Genremalerei (Der Fall Böcklin, Stuttgart 1905, S. 82 ff.).
Geige spielende Mönche haben Richter, Schwind, Spitzweg, Uhde und andere gemalt oder gezeichnet. In Böcklins Bildwelt aber kommt Musik in jeder Form besonders häufig vor (vgl. etwa die »Meeresbrandung«, Nationalgalerie, Inv.-Nr. NG 14/67). Meist unterstreicht sie die Weite des Raums, in den sie hinausklingt; im »Einsiedler« hingegen macht das hingebungsvolle Spiel mit eingezogenen Schultern, unmittelbar vor dem Andachtsbild, die Enge der Hütte und die Einsamkeit des Alten fühlbar. Und ist es nur Zufall, daß der Tod auf Böcklins Selbstbildnis von 1872 das gleiche Instrument spielt?
Eine von Max Regers »Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin« (1913) ist dem »Geigenden Eremiten« gewidmet. Der Komponist erstrebte einen »geradezu überirdischen« Klang, »wo die zartesten, weichsten Farben mit alten Palestrinaharmonien ein ganz merkwürdiges Stimmungsbild geben« (M. Reger, Briefwechsel mit Georg II. von Sachsen-Meiningen, Weimar 1949, S. 525). Zuvor hatten schon weitere Komponisten das Bild musikalisch interpretiert. | Claude Keisch
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