Um 1870 kopierte Leibl in der Münchner Alten Pinakothek von Cornelis de Vos die in prächtiger Kleidung dargestellte »Charlotte Butkens mit ihrem Sohn« (die Kopie von Leibl im Wallraf-Richartz-Museum, Köln). Als er während seines Aufenthaltes in Graßlfing bei Dachau, vom Frühjahr 1873 bis Herbst 1874, eine »Dachauerin mit Kind« malte, vermutlich die Müllerin Ploner (Lebensdaten unbekannt), wird er sich an diese Arbeit erinnert haben. Auch die Dachauerin trägt eine festliche Tracht, weniger farbenfreudig und kontrastreich, aber doch geeignet, den verschiedenen Strukturen und Farbnuancen nachzuspüren. Leibls Vorstellung von Ehrlichkeit kam die schlichtere, bäuerliche Frau mit ihrem Kind sogar mehr entgegen; ihre monochrome Kleidung erlaubte eher, den Eigenwert der puren Malfläche herauszustellen. Weder bei Cornelis de Vos noch bei Leibl ist eine Szene dargestellt, in beiden Fällen schaut die Mutter eher zurückhaltend, das Kind frei aus dem Bild heraus. Leibl nimmt das alte Genre der Bildnismalerei bewußt auf. Mutter und Kind sind trotz ihres einfachen Standes als Individuen erfaßt. Dabei spielte soziales Engagement für Leibl kaum eine Rolle. Er wählte seine bäuerlichen Modelle ihrer herben Schönheit wegen. Das Bild ist von dem Gegensatz zwischen den hellen Gesichtern von Mutter und Kind sowie der bläulichen Rückwand zu den dunklen, schwarz-braunen Trachten geprägt. Sie sind silhouettenhaft gegen den hellen Grund gesetzt. Die unvermittelten Kontraste zwischen hell und dunkel empfand der Vorbesitzer, ein Herr Elias in Brüssel, um 1890 als so störend, daß er »die hellen Stellen mit einem trüben Firnis überziehen ließ« (E. Waldmann, Wilhelm Leibl, Berlin 1930, S. 54). Unterdessen ist das Bild restauriert worden. | Angelika Wesenberg
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