„Betrachtung beim Frühstück“ an einem Sonntagmorgen: Was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Auf die Frage gibt das rote Ausrufezeichen eine kategorische Antwort: Das nächste Ei gehört in den leeren Becher. Dies ist das Schicksal der staksigen Henne mit dem rot flammenden Kamm und den Sternenaugen. Vorn auf dem Tisch liegt das aufgeschnittene Ei mit der harten Schale, Häutchen, Dotter und Eigelb, mit dem Löffel daneben. Auf der graublauschwarzen Schiefertafel sind die Motive mit spröder Deckfarbe hart durchgezeichnet, magische Signaturen für das Ei, eingeritzt und schraffiert für alle Ewigkeit. Aus dem geheimnisvollen Dunkel blinkt kalt das philosophische Ei herauf, Constantin Brâncuşis „Skulptur für Blinde“ (um 1920; Philadelphia Museum of Art) nahe. Der „schwarze Magier“ Klee (vgl. NG MB 103/2000) hat im Ei von Anfang an den „Schöpfungspunkt“ und die Urzelle für Geburt und Auferstehung des Lebens gesehen, darüber hinaus aber auch ein Gleichnis für den Schöpfungsakt in seiner Kunst. Nicht zuletzt offenbart sich in dem Blatt ein weiteres Mal die humorvolle Seite des Künstlers: Eine Verbildlichung der Frage, woher die Eier und der gute Braten kommen – Klee’sche Humoresken mit Witz, Ironie und tieferer Bedeutung. | Roland März
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