Reinhard Sebastian Zimmermann malte „Die Impfstube“ im Jahr 1857. Seine Darstellung einer Pockenimpfaktion in einer ländlichen Gaststube würde in bestimmten Kreisen als "Propagandabild" bezeichnet werden. 1807 wurde in Bayern die Impfpflicht gegen Pocken eingeführt. Die Aktion findet unter polizeilicher Aufsicht statt. Auf Zimmermanns Gemälde scheint der Polizist aber nicht mit Widerstand zu rechnen und gibt sich entspannt der Zeitungslektüre hin. Die angereisten Mütter aus allen Gesellschaftschichten sind damit beschäftigt, ihre Kinder zu beruhigen, mit ihnen zu spielen oder mit dem mitgebrachten Proviant zu versorgen. Der Impfarzt scheint freundlich und vertrauenerweckend. Die Szene ist lebhaft, vermutlich sehr laut, dabei friedlich und fast heiter. Hier wird zum Wohl der Bevölkerung gehandelt und keineswegs tyrannische Grundrechtsverletzung exekutiert. Zimmermanns Tochter starb gerade einjährig an Keuchhusten und dies mag dazu beigetragen haben, dass er den modernen medizinischen Schutzmaßnahmen aufgeschlossen gegenüberstand. Der Holzschnitt nach seinem Gemälde entstand 1875. Ab diesem Jahr waren alle Deutschen durch das Reichsimpfgesetz verpflichtet, ihre Kinder im Alter von einem bis zwölf Jahren gegen Pocken impfen zu lassen. Zimmermanns Motiv war also wieder aktuell. Der unbekannte Künstler hielt sich eng an die Vorlage, bis auf ein Detail: der Polizist hält eine Liste in der Hand und scheint die Ankömmlinge zu zählen. Der entspannt zeitungslesende Schutzmann der Vorlage schien für das preußisch dominierte Deutsche Kaiserreich nicht mehr repräsentativ.
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