Gotischer Erker mit Strebepfeilern, Maßwerk, Wimperg; Kupferstich nach einer anonymen Vorlage aus dem 15. Jahrhundert, 1840-1850 (um 1860).
Beschriftet am oberen Plattenrand: „ANONYME du XVe Siècle. / Pl. 2.“, am unteren Plattenrand: „O. Reynard dir. / Paris, A. LÉVY Editeur, rue de Seine 29 / Riester et Du Casse sc.“ sowie: „C / Ch. Chardon ainé Imp.“
Es ist unklar, ob es sich um die Abbildung eines real existierenden architektonischen Elements oder um die Reproduktion einer älteren grafischen Vorlage handelt.
Ovide Reynard hatte bereits in den 1840er Jahren im Verlag von Gaspard Albert Hauser eine Sammlung von Ornamenten alter Meister des 15. bis 18. Jahrhunderts in mehreren Lieferungen herausgegeben. Die hier vorliegende Arbeit ist die erste Abbildung in einer zweibändigen Ausgabe mit 218 Tafeln, die um 1860 unter gleichem Titel im Verlag von A. Lévy erschien. Der Konservator an der Abteilung für Druckgrafiken (Département des estampes) der Pariser Nationalbibliothek, Georges Duplessis (1834-1899) steuerte den einleitenden Text „De la Gravure d’Ornement“ (Über den Ornamentstich) bei.
Möglicherweise handelt es sich um eine neu arrangierte Auflage der ersten Edition. Dafür spricht die Beschriftung der einzelnen Blätter, bei der sich zwar die Namen des Verlags und der Druckerei geändert haben, die aber in Form und Anordnung identisch zur ersten Auflage ist. Ein weiteres Indiz ist, dass sich die Nachdrucke offenbar noch der herkömmlichen Techniken des Kupferstichs und der Radierung bedienen, wie der „sc.“-Vermerk (für „sculpsit“) am unteren rechten Plattenrand hinter dem Namen des jeweiligen Stechers belegt. Der hier genannte Martin Riester, erscheint schon in der früheren Edition; über seinen Kollegen Jean Eugene Ducasse ist nur bekannt, dass er zwischen 1840 und 1850 tätig war. In den 1840er Jahren gab es noch keine überzeugenden Alternativen zu den seit dem 15. Jahrhundert verwendeten und weiter entwickelten Tiefdrucktechniken, wenn man deren Klarheit und Präzision in der Darstellung erreichen wollte. Erst im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden neue (und billigere) Druckverfahren entwickelt, die diesen Ansprüchen genügten. Reynards Sammlung ist daher nicht nur ein Blick auf vergangene Stilepochen, sondern auch eines der letzten großen Beispiele für eine Design-Kupferstich-Serie, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert ihre Blütezeit hatten. Vermutlich war Reynards umfangreiche Publikation aber auch Anregung und Vorbild für deutsche Verleger, die mit anderen und neuen Techniken wenige Jahre später eigene Ornament-Publikationen herauszugeben begannen.
Die Ornamentsammlung der Wredow-Stiftung enthält Blätter aus beiden Bänden der „Ornements des Ancient Maîtres“. Sie sind, wie üblich, auf gleich großen Pappen fest aufgelegt. Die Titelblätter und der Text von Duplessis wurden bisher noch nicht aufgefunden. | Wolfgang Rose
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