Würzburg 18 Nov. 1895.
Meine liebe Ernestine!
Wen̄ man mit innerlichen
Vorwürfen an seine Freun-
de denken muß, ist es ein un-
angenehmes Gefühl; und dieses
besitze ich in solchem Maaße, so
daß es mir heute, trotz aller
Arbeit die noch abzumachen
wäre, die Feder in die Hand
drückt. Was müßt Ihr aber
auch von uns denken, daß wir
noch gar nicht wieder ange-
fragt haben wie es mit Eurem
Befinden steht. Gestern waren
meine Gedanken ganz beson-
ders bei Dir, den̄ mir war
es, als müßte gestern der
Tag Eures Rektoressen's ge-
wesen sein. Möge doch dieser
Tag vorüber und recht schön ver-
laufen sein. Dan̄ hättest Du die-
ses Schreckensgespenst hinter
Dir und kämest wieder in
Deine ruhige Stim̄ung, um
die ich Dich schon so häufig be-
neidet habe.
Mein Willy und ich, wünschen
sehnlichst bald recht günstige
Nachrichten über Dein und
Deines lieben Man̄es Befinden
zu erhalten. Vielleicht schreibst
Du mir selbst einige Zeilen;
ich will sehr genügsam sein,
wen̄ sie mir nur gute Kunde
bringen.
Was uns anbetrifft, so kan̄ ich
nur Gutes melden, wir sind
Gott sei Dank gesund, arbeiten
mit Vergnügen u. gehen jeden
Tag gewissenhaft spazieren.
Auch auf der Jagd waren wir
in den ersten Wochen häufig
u. Willy hat eine Menge Hasen
geschoßen, die Bertha u. ich dan̄
oft ziemlich weit zu tragen
hatten.— Jetzt hat der Spaß ein
Ende, Willy kom̄t nicht mehr
lange heraus; dafür begin̄en
jetzt die Gesellschaften u. mein
Man̄ macht schon ein bedenk-
liches Gesicht. Auch wir begin̄en
am 25. Nov. und dan̄ wer-
den wir so fort fahren bis
wir durch sind.
Was macht Lotte, hat Sie Ihre
Vorträge schon begon̄en?
Habt Ihr gute Nachrichten von
Euren Lieben?
Was sagt Lotte zu dem schnellen
und unerwarteten Todt von
der Frau Fischer? Ist daß
nicht schrecklich für den armen
Man̄ mit den kleinen Kindern!
Zu Fräulein Sachs gehen wir in
diesen Tagen um die Copie des
Lenbach'schen Bismark anzusehen.
Der alte Sachs ist sehr glücklich u.
befriedigt, über ihre Fortschritte.
Und nun, liebe Ernestine genug
für heute, nur möchte ich be-
vor ich schließe, Dir und den
Deinen nochmals herzlich
Dank sagen, für die gemüth-
lichen Stunden, welche wir
bei Euch verleben durften.
Grüße deinen Man̄, sowie
Lotte auf's Beste von uns
Beiden und sei auch Du
herzlich gegrüßt von Deiner
dir stets getreuen
B. Röntgen
Der junge Wolf arbeitet fleißig
im Laboratorium, Willy freut
sich über ihn.